Tagblatt: Am Ende seiner Welttour

26. Oktober 2017

Der TV Rottenburg soll für Idner Martins nicht nur eine seiner vielen Stationen werden. Gut möglich, dass er dort mal Cheftrainer wird.

Es war der spektakulärste Transfer des TV Rottenburg in seiner Vereinsgeschichte, als Weltenbummler Idner Martins in dieser Saison zum Bundesligisten wechselte. Vor dem Heimspiel am Samstag (19.30 Uhr) gegen seinen Ex-Klub VfB Friedrichshafen spricht der 38-Jährige im TAGBLATT über triste Zeiten in der Türkei, sein zerrüttetes Verhältnis zu Stelian Moculescu, dass er sich durchaus die Nachfolge von Hans Peter Müller-Angstenberger vorstellen könne und.

seinen Wechsel nach Rottenburg: Fast auf allen Kontinenten hat Idner Martins schon gespielt. Jetzt, mit 38 Jahren, will der in Brasilien geborene Portugiese in Rottenburg sesshaft werden, wie er sagt.
„Ich weiß nicht warum, aber ich hatte schon immer das Gefühl, dass hier ein guter Platz sein könnte, um Träume zu verwirklichen“, sagt Martins, „und jeden Tag, seit ich hier bin, verstärkt sich dieser Gedanke.“ Diese Träume seien: „Rottenburg zu einem der besten Teams in Deutschland zu machen und warum nicht auch in Europa? Das kann ich mir vorstellen. Und Rottenburg auch zu einem guten Platz für deutsche Nationalspieler zu machen, die hier auch bleiben. Das hängt nur davon ab, dass die Leute, die uns unterstützen, daran auch glauben!“

seine Stationen im Ausland: Martins, der mit vollem Namen Idner Faustino Lima Martins heißt, verdient mit Volleyballspielen sein Geld: „Ich muss eine Familie damit ernähren, schauen, dass das Essen auf den Tisch kommt.“ Wenn in der Liga, in der er gerade spielte, der Spielbetrieb ruhte, wechselte Martins in den vergangenen Jahren auch mal für wenige Monate in den „zweiten Markt“, wie er es nennt: in arabische oder asiatische Länder, deren Ligenbetrieb später als in Europa beginnt. „Da verdienst du in kurzer Zeit mehr Geld als hier in einer ganzen Runde.“
Glücklich war er aber nicht überall: „In Indonesien mit der Familie zu leben, ist unmöglich“, sagt Martins. Seine Ehefrau und seine zwei Kinder, die in Portugal leben, begleiteten ihn auf seinen Stationen in Russland und in Doha (Katar). Ein Land, in das es ihn nicht zurückziehe, ist die Türkei. Dort spielte Martins in Istanbul und Erzurum. Vor allem in Erzurum (Martins: „Das ist irgendwo im Nirgendwo“), in Ostanatolien, sei es „sehr schlimm“ gewesen. Zwei Monate lebte er dort im Hotel, dann kam er in ein Appartement. „Du fühltest dich dort nicht wohl, fehl am Platz“, erläutert Martins. Seine Familie besuchte ihn dort: „Die sagten aber gleich: Hier bleiben wir nicht.“ Einen jungen belgischen Mitspieler lud er ein, bei ihm zu wohnen. „Er war schon depressiv“, berichtete Martins, „die Türken, die mit ihm im Appartement lebten, tranken den ganzen Tag nur Whisky und rauchten. Er sagte, er wollte manchmal aus dem Fenster springen.“ Martins über das Leben als Volleyball-Profi: „Es ist hart. Die Leute denken immer, wir sind im Urlaub. Aber so ist es nicht.“

seine Familie: Die Eltern des in Santa Maria, ganz im Süden Brasiliens, geborenen Idner Martins leben noch in seinem Heimatland. Seit über einem Jahrzehnt hat er sie nicht mehr gesehen. „Das hat sich halt nie ergeben“, sagt Martins. In telefonischem Kontakt sind sie in jüngster Zeit öfter. Seine Ehefrau lernte er in Portugal kennen, wo er von 2001 bis 2004 bei Esmoriz Ginásio Clube spielte. 2004 heiratete er die Portugiesin, nahm auch die portugiesische Staatsbürgerschaft an. Vor neun Jahren wurde Tochter Lara geboren, vor fünf Jahren Sohn Viktor. „Die Familie ist für mich das Wichtigste“, sagt Martins.
Immer wieder flog und fliegt er auf seinen Auslandsstationen zu ihnen, die in der Nähe von Porto wohnen. Zuletzt vor ein paar Tagen, am Montag kehrte er zurück. „Mein Sohn weinte, als ich jetzt wieder weggeflogen bin, auch wenn er das nicht zeigen wollte“, berichtet Martins. Auch deshalb soll die Familie nach Rottenburg kommen und dort bleiben – der Entschluss stehe fest. Nach zehn Tagen war die Familie zu Besuch nach Rottenburg gekommen. „Die Tochter fragte gleich, ob sie mit Papa hier bleiben kann – sie wollte nicht nach Hause zurück.“ Martins, der beim TVR einen Zweijahres-Vertrag mit Option auf Verlängerung hat, schaut jetzt nach einem Schulplatz für die Tochter. Die Ehefrau studiert Business Relationships; der Plan ist, dass sie ein Fernstudium aufnimmt. Und eine größere Wohnung wollen sie suchen. Ein Zeichen, dass in Rottenburg ein neues Leben für ihn beginnen soll, sei auch seine Trikotnummer: Stets trug Martins die „16“ – beim TVR nahm er die „11“.

seinen Trainerjob beim TVR: In Rottenburg spielt Martins nicht nur im Bundesliga-Team, sondern ist auch als Jugendtrainer angestellt. Während seiner Zeit in Friedrichshafen (2007 bis 2010, 2011 bis 2013) hat Martins parallel in Portugal seinen Trainerschein gemacht, besitzt die höchste Trainerlizenz des Landes. Mit seinen 13- bis 16-jährigen Jugendspielern, die er in Rottenburg trainiert, kommuniziert Martins auf Englisch: „Da freut sich dann auch der Englischlehrer.“
Martins will seine Erfahrungen weiter geben. Eine davon ist: „Talent alleine bringt dich nicht weit. Wenn einer mit weniger Talent mehr arbeitet, dann überholt er den Talentierteren. Ich will von meinen U16-Spielern sehen, ob sie wirklich gute Spieler werden wollen – nicht nur der gute Junge bei Mama und Papa und in der Schule.“
Gut möglich, dass Martins irgendwann mal der Nachfolger von Hans Peter Müller-Angstenberger (45) wird, der seit 2002 die erste Männer-Mannschaft trainiert und diese von der Regionalliga in die Bundesliga führte. Auch Müller-Angstenberger hatte ihn darauf schon angesprochen. „Ich will mal Trainer werden“, sagt Martins, „aber ich sagte ihm, du bist ja noch jung, ich bin nicht hier, um dir den Platz wegzunehmen, auch weil ich dich mag. Wenn er aber eines Tages mal aufhört und mich fragt, dann wäre ich natürlich stolz, diesen Job zu übernehmen.“

seine Zeit beim VfB Friedrichshafen: Beim Rekordmeister war der Außenangreifer Publikumsliebling, wurde drei Mal in Serie Deutscher Meister, Pokalsieger – und musste trotzdem mitten in der Saison 2012/13 gehen. Offiziell von Vereinsseite, weil er den Leistungsanforderungen nicht mehr gerecht wurde. Martins sagt, er wisse bis heute noch nicht, warum er gehen musste. Er vermutet, es seien finanzielle Gründe gewesen: Einen Vertrag hatte Martins nicht unterschrieben, nur einen Vorvertrag, weshalb die Trennung für den Verein zumindest rechtlich und finanziell ein einfacher Schritt war.
Mit dem oft als unnahbar und sehr autoritär geltenden VfB-Trainer-Urgestein Stelian Moculescu habe er bis zur Trennung sogar ein fast väterliches Verhältnis gehabt: „Die Mitspieler haben immer mich zu ihm geschickt, wenn sie was von ihm wollten, obwohl ich nicht der Kapitän war.“ Martins klatscht sich an die Wange – so habe es Moculescu immer bei ihm gemacht, wenn er beispielsweise im Namen der Spieler um einen trainingsfreien Tag bat. „Dann sagte er: Okay, Idi, geh und sag ihnen, dass sie frei bekommen! Und alle jubelten, als ich die Nachricht überbrachte.“
Einmal hätten die Mitspieler ihn zu Moculescu geschickt, um zu fragen, ob sie nach dem Spiel Wein zum Abendessen trinken dürfen. „Dann schaute er mich an und sagte: Okay, wenn wir 3:0 gewinnen und der Gegner in keinem Satz mehr als 15 Punkte macht, dürfen sie trinken, was sie wollen. Das sagte ich den Jungs. Und dann gewannen wir 13, 14, 15.“
Die Entlassung sei für ihn „eine böse Überraschung“, sagt Martins, „meine Tochter bekam große Probleme danach, es zerbrach vieles bei uns. Wie Moculescu auch meine Familie behandelt hat, das tat weh.“ So habe der VfR-Trainer schon vor der Trennung Martins‘ Tochter verboten, im Training zuzuschauen. „Mit Moculescu habe ich seither nicht mehr gesprochen“, sagt Martins, „ich will auch nicht mehr mit ihm sprechen.“

über das Spiel am Samstag gegen seinen Ex-Klub: „Das Team hat sich ja sehr verändert seit meiner Zeit“, sagt Martins, „ich freue mich, die Fans wieder zu sehen, mit denen ich immer ein gutes Verhältnis hatte. Wie ich gehört habe, kommen sie sogar mit zwei Bussen.“ Und Martins sieht sogar Siegchancen gegen den Titelaspiranten: „Sie sind nicht mehr so stark wie früher. Wenn sie uns nicht ernst nehmen und keinen guten Taghaben, dann können wir sie schlagen – dann werden wir hier Spaß haben, während sie zurück anden Bodensee fahren und etwas weinen.“

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